Text von Martin Ratzinger, München 7.12.2003

Laudatio auf Regine von Chossy

(Wir haben es gehört,) die Jury hat entschieden, den Marie-Luise-Lentz-Preis 2003 an die Künstlerin Regine von Chossy zu geben. Sie beweist dabei einen mutigen, verständigen Blick auf die spielerische Kraft der Arbeit von Regine von Chossy.

Spielerische Kraft – im Englischen ließe sich dies präzisieren: das Englische hat zwei Begriffe: game und play. Game ist ein streng geregeltes, play ein frei sich entfaltendes Spiel.

Im Folgenden will ich versuchen aufzuzeigen, daß Regine von Chossys Arbeit sich dem game, dem Konzept entzieht, aber einer inneren Konzeption des Spielerischen zu folgen scheint. Dazu versuche ich fünf Annäherungen, um über Regine von Chossys preisgekrönte Arbeit der QUARKS zu sprechen:

Erstens eine Annäherung durch die Kultur, die Bildung, denn sie ist ungeheuer beredt. Regine von Chossy bietet uns durch den Titel eine Folie an, durch die man ihre Arbeit sehen kann. Nicht zum ersten mal benutzt die Künstlerin einen Begriff aus der wissenschaftlichen Welt. (Ich denke z. B. an SALVE FIBONACCI einen Schleier ähnlich in den Proportionen , wie der von ihr gewählte Vlies für die Installation der QUARKS.)

Quarks sind Grundbausteine der Materie, Infrateilchen, deren Energie in aufwändigen Atombeschleunigern sichtbar gemacht werden kann und deren Existenz sich die Theoretische Physik zu eigen macht, um den Kern des Seins zu erklären. Ein Quantenphysiker oder Mathematiker wüßte hier noch unendlich zu sprechen –

- oder führt uns Regine von Chossy in die Irre, und es stehen uns zwölf gleichnamige Bartender aus der Rasse der Ferengi von der Deep Space Nine aus STARTREK gegenüber? Diese häßlichen, sexistischen, profitgierigen, aber immer friedliebenden kleinen Aliens, die sich zum Gruß die Nase aneinander drücken? Wußten Sie, daß der Quark auch die Holosuites in der oberen Etage des Raumschiffs betreibt, in denen wir Menschen uns uneingeschränkt unseren Phantasien hingeben können? In ihrer Kultur machen die Ferengi keinen Unterschied zwischen Lust und Geschäft und das funktioniert: Sie kennen weder Krieg, Streit oder Scheidung (,denn die Geliebten widersprechen einfach nicht). Ihre großen Ohrläppchen sind Zeichen der Virilität, eine erogene Zone und sie zu streicheln, ist sexueller Stimulans.

Eine zweite Annäherung durch das Spezielle von Chossys Arbeit – ihre Spezialisierung. Sie liegt gerade in der Durchdringung der Gattungen: Skulptur – Malerei – Installation – ja und auch Stimme oder Sprache.
Ihre Malerei kommt von der Zeichnung, ist energetisch, die dreidimensionale Form der Skulptur ist amorph, kreatürlich, als durchbräche die Energie des Strichs die Fläche. Die Oberfläche der Skulptur, die Haut der Form, wird wieder zur Malerei, diesmal von Leuchten und Licht. Durch die Installation entsteht ein Klang, ein Dialog, und Regine von Chossy läßt uns daran teilnehmen: die QUARKS treten in eine Korrespondenz, miteinander und mit dem Betrachter.

Ich nähere mich den QUARKS noch einmal: nämlich aus reinem Vergnügen; lasse mich von ihnen erheitern (auch dies scheint mir eine legitime Art der Begegnung mit dem Werk von Regine von Chossy). Und ... es setzt eine der kleinen Qualen des Sprechens ein: Könnten Sie erklären warum man dies oder jenes schön findet? Die Lust erzeugt eine Art Sprachfaulheit. ... Ich verstumme, wo doch zu loben wäre.

Deshalb nähere ich mich den QUARKS noch einmal aus der Erinnerung. Sie strahlen von dort in heiterer Anzüglichkeit herüber. Ihr Witz, der einen im direkten Gegenüber noch verlockte, sie zu berühren und zu finden, daß ihre individuelle Äußerlichkeit sich auch im Stofflichen fortsetzt: manche von ihnen sind starr, Zinnsoldaten gleich – andere gummi-artig weich, flexibel, als stünden sie mit letzter Anstrengung noch aufrecht, als bedürften sie der Anlehnung – oder haben sie uns schon wieder verführt und wir sind es, die sich anschmiegen wollen, die ihre Ohrläppchen manipuliert bekommen wollen?

Ihr Witz, ihr Schalk also, vertieft sich in der Erinnerung zu einer tieferen Einsicht von ironischer Kraft. Diese QUARKS schwingen in der ihr eigenen Energie in einem Spannungsfeld von geistigen Bedeutungs- und unmittelbaren Erfahrungsebenen. Wir dürfen uns mit ihnen fühlen und doch bleiben sie uns auch irgendwie rätselhaft fremd.
Chossys Atombeschleuniger oder Holosuite in der unteren Etage des Museums hat dies sichtbar gemacht. Deshalb ist die letzte Annäherung die der Produktion, die heute abend verlangt, das Werk zu re-produzieren. Sie läßt noch einmal aufscheinen, was Regine von Chossy mit den QUARKS gemacht hat. Es entsteht hier und heute, wo die Installation aus dem Museum ausgezogen ist, genau dieser Schaffenswusch.

In anderem Zusammenhang habe ich einmal gesagt, daß für Regine von Chossy gilt: „Die Lust am einen Medium treibt die Ausdruckskraft des anderen voran.“ Das muß doch zu schaffen sein!

Ich spreche also dieses Wort: „Quark“ – höre mir selbst zu: „Quark“. (Das ist doch zu albern, zu verrückt. Was rede ich hier eigentlich?) Und noch bevor ich versucht habe irgendeine Spur zu ziehen, eine Form zu greifen, stelle ich fest, daß dies alles nur eitles Streben wäre. Was immer ich versuchte, es wäre nichts – nicht Chossy – nicht ich – einfach nichts. Und mit der Erkundung der eigenen Impotenz erhebt sich gleichzeitig, als deren erhabenes Relief, das Potenzial der Künstlerin.

Dank an die Jury – und Glückwunsch für Regine von Chossy.